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Thurgauer Zeitung, 19. November 2013, Dieter Langhart
Hätt' ich doch nur…
«Die Begleitband»: Andrea Noce Noseda und Pablo Ariel Bursztyn. (Bild: Dieter Langhart)«Traum» ist eines der häufigsten Wörter im Stück «Die Begleitband»: Träume haben, Träume verwirklichen, Träume leben. Zwei Männer kämpfen gegen die Resignation – vor dreissig Jahren in Argentinien, jetzt wiedererweckt in der Theaterwerkstatt Frauenfeld.
FRAUENFELD. Du hast deinen Traum verwirklicht, sagt Tuco zu seinem besten Freund Seba. Doch das stimmt gar nicht. Der Kioskbesitzer wartet auf seine Lieferanten, alte Frauen vertropfen mit ihrem Schirm seine Zeitungen und kaufen dann nur ein Ragusa und versauen ihm den Tag. Und Tuco?
Tuco will singen. Tuco wird singen wie Elvis und Frank Sinatra. Tuco wird Erfolg haben, alle Frauen werden ihm zu Füssen liegen, aber Seba wird keine Freikarte von ihm bekommen. Denn Tuco glaubt, seine Familie habe Seba vorbeigeschickt, ihn aus seinem Keller zu locken, in dem er sich verschanzt hat und seine Stimme mit rohem Ei ölt und auf die Begleitband wartet.
Traum vom freien Leben
Der Argentinier Carlos Gorostiza hat das Stück «El acompañamiento» 1981 geschrieben. Es sollte an einem Theaterfestival in Buenos Aires aufgeführt werden, dann brannte die Armee das Theater nieder, doch andere Häuser sprangen ein. Das Stück wurde zu einem Symbol für den Kampf gegen die Militärdiktatur. Und für den Traum vom eigenen Leben. Der Schauspieler Pablo Bursztyn hat das als Student miterlebt. 2003 gründete er mit Noce Noseda die Truppe Teatro della memoria attiva TMA, um Theatertradition wachzuhalten.Ausreden statt Aufbruch
Sie führen Regie und spielen – und wie sie spielen! Pablo Bursztyn gibt den Giesser Tuco ruppig und doch äusserst verletzlich; schwer wie ein Bär mit weicher Elvis-Hüfte; rasch das Messer zückend und seinen Freund gleich wieder umarmend. Und wenn der Bariton singt und seinen Auftritt probt, glaubt man ihm, dass er es schaffen wird. Denn verrückt sind die andern, und Seba ist ein Pessimist, wenn er behauptet, die Begleitband werde gar nicht auftauchen.Noce Noseda spielt den Seba erst verhalten und ängstlich, doch dann kommt Leben in ihn, wie er merkt, dass seine eigenen Träume nicht vertrocknet sind, dass er bisher nur Ausreden hatte vor einem besseren Leben.
Tempo- und einfallsreich
Pablo Bursztyn und Noce Noseda spielen aus Körper und Bewegung heraus, ihre rhythmische Inszenierung ist reich an Details, sprüht vor beckettschen Einfällen wie Sebas Lektion in deutscher Grammatik, verliert fast nie an Tempo. Joe Fenner (wie Noce Noseda Ensemblemitglied der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld) hat Gorostizas Stück so frei übertragen, dass es heute in der Schweiz spielen könnte. Denn auch hier sind die Träume der Menschen dieselben geblieben.
St.Galler Tagblatt Online, 15. November 2013, Dieter Langhart
Menschen, nicht Maschinen
Andrea Noce Noseda (Sebastian) und Pablo Ariel Bursztyn (Tuco) proben ihr Stück «Die Begleitband».
(Bild: Dieter Langhart)FRAUENFELD. Zwei Schauspieler aus Argentinien und Italienisch-Bünden haben sich zusammengetan, um aus der Tradition des Theaters Stücke für die Gegenwart zu inszenieren. Heute hat ihre dritte Produktion Premiere.
Der Spuk in Argentinien hat sieben Jahre gedauert, und Pablo Ariel Bursztyn hat ihn als Student miterlebt, als Statist in einem Theater. 1983 haben die Argentinier die Militärdiktatur gestürzt und sind zur Demokratie zurückgekehrt. «Eine schreckliche Zeit war das», sagt Bursztyn während der Proben zu «Die Begleitband».
Andrea Noce Noseda, der neben ihm sitzt, hat das Stück mit Joe Fenner umgeschrieben: erst auf Italienisch, dann haben sie auch eine deutsche Fassung erstellt, die heute Premiere feiert in der Theaterwerkstatt Gleis 5. Nach zwei Vorstellungen in Biasca und Locarno werden die beiden Schauspieler zwischen den Sprachen und Spielorten wechseln und «Die Begleitband» zu Ehren des Teatro Abierto spielen, des Offenen Theaters.
Armee brennt Theater nieder
«El acompañamiento» ist 1981 für den Dramaturgen Carlos Corostiza geschrieben worden, und wurde erstmals am Theaterfestival Teatro Abierto (Offenes Theater) in Buenos Aires aufgeführt. Dieses Festival war ein Aufstand, ein «theatraler Freiheitskampf gegen die Diktatur», sagt Noseda. Die Armee beging aus Angst den Fehler, das Festivaltheater niederzubrennen. Da öffneten siebzehn Theater der Stadt ihre Bühnen, damit die Stücke dennoch gespielt werden konnten. «El acompañamiento» ist zur Legende geworden und wird wieder und wieder gespielt.«Im Stück wird keine Bombe gezündet, eigentlich passiert fast nichts», sagen Noseda und Bursztyn. «Wie ein Sog ist das – das Publikum möchte wissen, wie es endet.» Fabrikarbeiter Tuco will plötzlich nicht mehr zur Arbeit, er will singen. Ein Kollege hat ihm versprochen, ihm gute Musiker zu schicken, doch Tuco sperrt sich in seinem Keller ein. Seine Familie ist verzweifelt und bittet seinen besten Freund Sebastian, Tuco aus seinem Keller zu holen. Das ist ebenso lustig wie traurig, wie die Proben zeigen, aber keine Komödie.
Freiheit und Menschlichkeit
Es gehe in «Die Begleitband» um des Menschen Recht zu träumen, um seine Sehnsucht, nicht Teil einer Maschinerie zu sein, sagt Noseda; es gehe darum, von der persönlichen Freiheit zu sprechen. Theater kann nichts ändern, das weiss auch der Schauspieler (der zuletzt in «Meister und Margarita» auf Schloss Girsberg zu sehen war). «Aber es kann Menschen dahin bringen, dass sie etwas verändern wollen.»